Podiumsdiskussion „Amerika vor der Wahl – wohin mit Europa?“
Welche Bilanz kann Europa nach der ersten Präsidentschaft George W. Bushs ziehen? Was hat Europa von John Kerry zu erwarten? Ist Europa wegen des Irak-Kriegs dauerhaft in ein altes und neues Europa gespalten? Wie werden sich die Beziehungen zwischen der EU und den USA entwickeln?
Dies waren die zentralen Fragen einer Podiumsdiskussion am 28.10.2004 in den Räumlichkeiten der Vetretung der Europäischen Kommission in Berlin zur Sprache kamen. Die Veranstaltung war eine Kooperation von Jugend bewegt Europa und der JEB-BB.
Als Gesprächspartner auf dem Podium nahmen teil:
- John Kornblum, US-Botschafter a.D.
- Ruprecht Polenz, Mitglied des Bundestages und ehem. Generalsekretär der CDU
- Jan-Friedrich Kallmorgen, Politikberater
Moderation: Sven Hätscher (Jugend bewegt Europa) und Jens Jenssen (Junge Europäische Bewegung)
Ex-Botschafter Kornblum: „Kerry würde nur drei Monate für ein good feeling sorgen.“
von Jochen Gößmann
Spannende Diskussion bei „Jugend bewegt Europa“ und bei der „Jungen Europäischen Bewegung“. John Kornblum, Ex-Botschafter der USA in Deutschland, Bundestagsabgeordneter Ruprecht Polenz (CDU) und Politikberater Jan-Friedrich Kallmorgen diskutierten über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Großes Interesse nur wenige Tage vor den Wahlen in den USA: Über 120 Gäste in der Vertretung der Europäischen Kommission am Brandenburger Tor ließen den Saal (83 Sitzplätze) aus allen Nähten platzen.
Fünf Tage vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen lieferten sich Kornblum und Polenz zeitweise kontroverse Debatten. Titel der Diskussion: „Die USA vor den Wahlen – wo bleibt Europa?“ Sven Hätscher (Jugend bewegt Europa) und Jens Jenssen (JEB) führten durch die Diskussion. Die dreistündige Veranstaltung endete mit interessanten Smalltalks bei Wein, Saft, Wasser und Brezeln.
Offen und unverblümt stänkerte Kornblum über die Handlungsunfähigkeit Europas in der Außenpolitik: „Europäische Ideen haben fast nie zu praktischen Fortschritten geführt“, sagte der Ex-Botschafter. „Die Vorstellung, Europa könne die Welt durch soft powers regieren, ist nicht realistisch.“
Dies wollte Polenz so nicht stehen lassen: „Die neuen Mitglieder der EU haben einen weitgehend gelungenen Transformations-Prozess hinter sich. Das stabile Nation-Building in Europa ist ein Erfolg der westeuropäischen Europäischen Union.“
Zudem hob Polenz die Rolle der europäischen Armeen beim Afghanistan- und Kosovo-Einsatz hervor: „In Afghanistan stellt Deutschland die meisten Truppen. Wir sind dabei, die Krisenregion Balkan zu stabilisieren. Kroatien ist dank der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft auf einem guten Weg.“
Dazu Kornblum: „Der Balkan ist von uns aufgebaut worden. Nicht mal die ursprünglichen sechs EU-Mitglieder sind in der Lage, gemeinsam Politik zu machen.“ Kornblums wichtigste Erkenntnis: „Die Anwendung der soft powers in der Außenpolitik der EU konnte nur in Verbindung mit den amerikanischen hard powers erfolgreich sein. Außenpolitik muss teilweise immer mit militärischen Mitteln gemacht werden.“
Hoffnungen auf einen spürbaren Wandel in der US-Außenpolitik im Falle eines Wahlsieges der Demokraten machte Kornblum zunichte: „Wenn Kerry gewinnt, wird Europa drei Monate lang eine Phase des good feeling erleben. Danach kommen die harten Fragen auf die Tagesordnung. Die Herausforderungen und Lösungswege werden sich unter Kerry nicht ändern. Er wird die Antworten allenfalls höflicher formulieren.“
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen sprach sich Polenz für die Unterstützung der USA beim Wiederaufbau im Irak ein: „Ich kenne dieses Gefühl und die Denkweise der Deutschen: Wir haben die USA gewarnt, wir haben nicht mitgemacht und jetzt sollen die Amerikaner ihre Suppe alleine auslöffeln. Dieses Gefühl ist genauso verständlich wie falsch.“ Der ehemalige Generalsekretär der CDU wies auf viele positive Aufbau-Signale im Irak hin, denen die Medien nicht sehr viel Aufmerksamkeit schenkten. „Für eine Allianz gilt das Gleiche wie für’s Private. Wenn ein Freund in der Patsche sitzt, hilft man ihm“, sagte Polenz.
Kornblum verglich die Nahost-Problematik der Gegenwart mit der Konfrontation mit der Sowjetunion im Kalten Krieg: „Wir haben erfolgreiche Strategien entwickelt, um den sowjetischen Kommunismus zu besiegen. Jetzt brauchen wir Strategien, um Demokratien im Nahen Osten zu etablieren. Dieser Prozess wird genauso lange dauern wie der Kalte Krieg, denn zunächst müssen sich Mentalitäten ändern. Für Freiheit und Wohlstand zu sorgen, ist gleichzeitig ein idealistisches und pragmatisches Ziel.“
Kornblum sprach sich für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union aus und hatte für die Europäer sogar noch ein Kompliment parat: „Ein Beitritt der Türkei wäre natürlich sehr schwierig für die EU“, sagte Kornblum. „Bislang hat die EU die Diskussion sehr gut gehandhabt, denn die Türkei hat bereits verstanden, dass das nicht über Nacht geht.“