Wo Europa endet: Konzept

Ausgangslage

Am 19. März 2006 fanden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Alexander Lukaschenko wurde wiedergewählt. Von den OSZE Beobachtern wurde diese Wahl als weder frei noch fair eingeschätzt. Auf die zahlreichen Proteste der Opposition reagierte das Regime mit Verhaftungen, Entlassungen und Exmatrikulationen. Das Problem der Missachtung demokratischer Werte in Belarus stellt eine große Herausforderung für das wichtigste Ziel der Europäischen Gemeinschaft, die Verbreitung und Förderung von Demokratie und Menschenrechten, dar. Doch der EU fällt es schwer, auch aufgrund der von Lukaschenko betriebenen Politik der Selbstisolation, adäquat und entschlossen zu reagieren. Seit Jahren wird beispielsweise die Einsetzung eines EU Beauftragten für Belarus diskutiert, jedoch nicht umgesetzt, es existiert weder eine EU Strategiegruppe, noch ein Belarus Democracy Act wie in den USA.

Besonders die Regierung und Zivilgesellschaft Polens bemüht sich mit hohem Engagement, um eine Stabilisierung und Demokratisierung von Belarus und der weiteren östlichen Nachbarn. Die Erfahrungen im Aufbau der Demokratie möchte Polen weitervermitteln und die Etablierung souveräner und westorientierter Staaten unterstützen. Polen möchte vermeiden, dass nach der EU Erweiterung neue Trennlinien an der polnischen bzw. EU- Außengrenze entstehen. So trug und trägt Polen verstärkt die Problematik der osteuropäischen Länder in den außenpolitischen Fokus der EU hinein.

Polen unterstützte die im Herbst 2004 durchgeführte Orangene Revolution in der Ukraine. Im Februar 2005 unterzeichnete die Ukraine den mit der EU gemeinsam aufgestellten Aktionsplan, das Hauptinstrument der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die 2003 von der Europäischen Kommission, als alternative Möglichkeit einer Teilnahme an der europäischen Integration entwickelt wurde, für Länder, die zunächst oder für immer ohne Beitrittsperspektive sind. Die Enttäuschung in der Ukraine, über die Verwehrung eines EU Beitritts, vor allem des westlichen Teils der Ukraine, ist groß und trägt zusätzlich zu einer Bestätigung der Russlandorientierten Einstellungen des östlichen Teils bei, was zu einem Anwachsen der Missverständniskluft führt und die Gefahr einer Spaltung des Landes birgt. Eine zunehmende Frustration innerhalb der EU Grenzen hat sich direkt auf das Verhältnis zu den östlichen Nachbarnländern widergespiegelt.

Im Jahre 2004 wurde in der Existenz des vereinigten Europa ein wesentlicher Schritt nach vorn gegangen. Die Aufnahme 10 neuer Mitglieder forderte nun jedoch eine höhere Stufe der Integration, sowie eine Reformierung der EU. Doch die Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden sind gescheitert. Gründe hierfür wurden in einem mangelndem Informationsfluss, in der Angst vor Souveränitätsverlust und der Angst mit Blick auf die eigene wirtschaftliche und soziale Situation gefunden.

Ungeachtet der ausgesprochenen Errungenschaften der Europäischen Gemeinschaft, der Eröffnung neuer Möglichkeiten und Perspektiven für Staaten und Bürger in politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und anderen Bereichen, bleiben viele Bürger der alten EU Länder skeptisch. Einer wachsenden Geschwindigkeit europäischer Integrationsprozesse stehen Aufnahmemüdigkeit und Distanz der Bevölkerung gegenüber. Die Folgen der Erweiterung verunsichern, die Angst vor zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt wächst. Im Zuge der Europäisierung erstarken nationale Ideen und Wünsche nach einer Renationalisierung der Politik.

Obwohl vor allem junge Menschen der EU eher positiv gegenüber stehen, fühlen sie sich schlecht informiert und sehen wenig Partizipationsmöglichkeiten. Es werden vor allem undemokratische Entscheidungsstrukturen und eine fehlende Transparenz wahrgenommen, die Ausrichtung auf ökonomische Aspekte und die Abgrenzung gegenüber Drittstaaten werden kritisiert.

Es gibt eine Vielzahl ungelöster Probleme, die weitere Probleme nach sich ziehen. Fragen zu der Identität der EU in Bezug auf Europa, der Exklusion und Inklusion, der Gestaltung der nachbarschaftlichen Beziehungen müssen gestellt und beantwortet werden. In dieser komplizierten Situation wachsen die Ansprüche hinsichtlich der Informationsversorgung und der Qualifizierung von Jugendlichen, was dem Aufzeigen von Möglichkeiten hinsichtlich einer aktiven Partizipation dienen muss.

Nur der verstärkte Akzent von internationalen Programmen auf eine enge Zusammenarbeit im Bereich der politischen und interkulturellen Jugendbildung, sowie eine enge Kooperation mit den EU Nachbarstaaten, kann die Schärfung einer europäischen Identität und einen positiven, erfolgreichen Beziehungsaufbau zur EU erzielen. Es bedarf mehr Demokratie, internationalem Dialog und Diskussion, um kulturelle und politische Grenzen zu überwinden und Europa gemeinsam gestalten zu können. Vorrangiges Ziel muss die Stärkung und Stabilisierung der Zivilgesellschaft, besonders in Belarus und der Ukraine sein, um Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte zu gewährleisten.

Ziele

Im Rahmen des Projektes möchten wir junge Menschen aus der Ukraine, Polen und Deutschland in die weißrussische Stadt Grodno einladen, mit dem Ziel, vorhandene Stereotypen und Vorurteile abzubauen und das sich von Europa entfernende Land Belarus, aus der Nähe kennen zu lernen.

Der Titel des Projektes soll unseren Anspruch provokativ verdeutlichen: sehr wohl gehört Belarus zu Europa. Doch die aktuellen politischen Umstände im Europa der EU, als auch in Belarus, zeigen Reibungsflächen auf und bieten Handlungsanreize. Wir wollen den Teilnehmern aus dem Europa der EU zeigen, dass es sich trotz Kritiken und Problemen lohnt, für die Idee Europa zu arbeiten und andererseits die Teilnehmer aus Belarus ermutigen, sich in ihrer Heimat, trotz Widerstände, für eine Annäherung des Landes an Europa zu engagieren. Dabei steht zunächst der Aspekt der Ermutigung für zivilgesellschaftliches Engagement überhaupt im Vordergrund.

Den Teilnehmern sollen Kenntnisse über Europa und seine Institutionen vermittelt werden. Sie sollen sowohl Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene als auch Ambivalenzen der EU verstehen und kritisch beleuchten. Sie sollen sich aktiv mit der Bedeutung und Entwicklung einer europäischen Bürgergesellschaft auseinandersetzen und der Idee der europäischen Identität Inhalte verleihen. Des Weiteren soll die Europäische Nachbarschaftspolitik diskutiert und weitere Perspektiven erörtert werden. Das Seminar soll das Interesse wecken, sich mit der heutigen Problematik der politisch-kulturellen Abgrenzung der EU-Mitglieder von den außerhalb der EU Grenzen liegenden Ländern (Belarus und die Ukraine) zu beschäftigen, bzw. auch die Selbstisolation von Belarus zu hinterfragen.

Wir möchten, abgesehen von den sozial-politisch ausgerichteten Diskussionen, dem Seminar einen starken kulturellen und kreativen Aspekt verleihen. Besonderes Augenmerk liegt auf den Chancen kulturellen Austausches in der Diskussion um nationale und europäische Identitäten. Die Teilnehmer sollen mit den kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Länder vielseitig bekannt gemacht werden und sich intensiv mit ihrer eigenen Identität und Nationalität auseinandersetzen, um sich und ihre Nachbarn besser kennen zu lernen. Es soll eine Neugier geweckt werden, über Ländergrenzen hinweg, miteinander zu kommunizieren und gemeinsame Lebensperspektiven, vor dem Hintergrund demokratischer Grundwerte, zu entwickeln.

Darauf aufbauend wird das Ziel verfolgt, einen Beitrag zur Überwindung der Passivität der Jugendlichen zu leisten, Interesse an der internationalen, politischen Arbeit zu wecken, junge Menschen zum persönlichen, zivilgesellschaftlichem Engagement anzustoßen und die demokratische Grundhaltung zu stärken. Es sollen neue Projektideen entstehen, die gemeinsam durchgeführt werden sollen. Die Teilnehmer sollen Freude an der politischen Partizipation auf den verschiedensten Ebenen entwickeln, um damit die Zivilgesellschaft und Demokratie, auch auf europäischer Ebene, zu stabilisieren.

Die Teilnehmer sollen interkulturelle und soziale Kompetenzen, sowie Kompetenzen in der Beurteilung komplexer politischer Prozesse und im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit erwerben. Sie sollen in ihrer Kreativität, Selbstverantwortung, Kooperations- und Partizipationsbereitschaft gefördert und in ihrem Selbstvertrauen und Selbstbild gestärkt werden.

Durchführung

Der bildungspolitische Teil des Seminars wird einerseits durch Referate und Diskussionen mit Experten aus Politik, Wissenschaft und Ehrenamt durchgeführt. Kleingruppenarbeit und ein aktiver Austausch der Teilnehmer untereinander sollen eine intensive Auseinandersetzung der unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen. Andererseits werden, um auch einen emotionalen und lebensweltnahen Zugang zu erhalten, einige Methoden des Juniorteams Europa (entwickelt vom Centrum für angewandte Politikforschung) eingesetzt.

Der kulturelle Teil des Seminars wird mit einigen Elementen (Rollenspielen), angeregt von der Fortbildung „Interkulturelle Kommunikation“ der Initiative MOE, gestaltet. Die Teilnehmer selbst sollen Länderabende durchführen. Es können die verschiedensten kreativen Elemente, wie Musik, Tanz, Fotos, Film, Quiz, Literatur etc. genutzt werden. In der Ausschreibung wird darauf hingewiesen werden.

Für die Entwicklung von Projektideen wird es ein Einstiegsmodul geben, in dem Kenntnisse des Projektmanagements vermittelt werden. Besonders wird der Fokus auf die Konzeptentwicklung, Antragstellung und Öffentlichkeitsarbeit gerichtet. Die Teilnehmer werden einen Reader mit den wichtigsten Informationen erhalten. Dieser soll praktische Hilfestellungen für die Entwicklung von Projekten bieten.

Danach wird eine Zukunftswerkstatt durchgeführt. Diese Form eignet sich besonders gut, da kreative, praxisnahe und realisierbare Problemlösungen gefunden werden und Projekte entstehen können, die nachhaltig ausgerichtet sind und langfristige Handlungsmöglichkeiten erschließen. Anschließend sollen in Kleingruppenarbeit erste Konzeptentwürfe entstehen.